Es war gleich nach dem Mittagessen und ich kämmte dort mein Haar. Janice Cohen tat das gleiche, in kurzen, unsicher zerrenden Zügen. Sie starrte mich währenddessen mit einer Mischung aus Furcht und Abneigung an. Ich habe seitdem erfahren, wie eng verwandt diese beiden Gefühle sind. Nur die Schärfe der Bitterkeit in ihrer Stimme schien Janice davon abzuhalten, in Tränen auszubrechen.

„Meine Mutter hat mir gesagt, dass etwas, was du gesagt hast, nicht sehr nett war.“

Ich hielt inne beim Kämmen und fragte: „Was habe ich denn worüber gesagt?“

Ihre Stimme zitterte, sie antwortete: „Das was du über die Christen gesagt hast, die in den Himmel kommen, während alle Juden in der Hölle enden.“

„Janice, das habe ich nie gesagt!“

„Linda Rubin sagt, dass du es gesagt hast,“ betonte Janice.

Ich nahm mich der Anklage mit dem üblichen Taktgefühl der Viertklässlerin an: „Nun, du kannst Linda sagen, dass sie verrückt ist, denn wenn ich das denken würde, würde ich doch auch in die Hölle kommen, da ich doch auch eine Jüdin bin, weißt du! Warum sollte ich also so etwas sagen?“

„Aber du bist doch Christin; du glaubst an Jesus.“

„Aber du bist doch Christin; du glaubst an Jesus.“

„Ja und,“ sagte ich, „hast du denn noch nie von jüdischen Christen gehört?“

„Nein. Die schließen einander aus. Du kannst nicht gleichzeitig jüdisch und christlich sein.“

„Natürlich kannst du das,“ sagte ich. „Ich habe doch gerade gesagt, dass ich selber beides bin!“

Janice schaute verwirrt und war nicht völlig überzeugt. Sie hat mich danach nie wieder auf Religion angesprochen. Aber ich bemerkte, dass viele der Kinder glaubten, dass ich nicht gleichzeitig Jüdin und Christin sein könnte. Und einige von ihnen machten sich über mich lustig, als ich sagte, dass ich genau das wäre. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, warum sie glaubten, dass sie jüdisch wären und ich nicht. Schließlich zündete ich doch ebenso wie sie die Menora zu Chanukka an und zum Passahfest aß ich Erdnussbutter mit Marmelade auf einem Matzen-Brot, da wir ja nichts mit Sauerteig essen durften. Und schließlich waren doch meine Eltern jüdisch. Was sollte ich also sonst sein?

ch war mir in keiner Weise darüber bewusst, dass es offenbar kontrovers war, ein Jude für Jesus zu sein.

Ich fragte mich, ob jemals jemand meinen Eltern gesagt hatte, dass sie nicht jüdisch wären, nur weil sie an Jesus glaubten. Als ich zehn war, konnte ich einfach nicht verstehen, wie jemand etwas nicht glauben konnte, was meine Eltern sagten. Ich war mir in keiner Weise darüber bewusst, dass es offenbar kontrovers war, ein Jude für Jesus zu sein. Mir schien das etwas völlig Natürliches zu sein, fast wie das Atmen. Ich war als Jüdin geboren und als ich sechs Jahre alt war, akzeptierte ich Jesus als meinen Messias und wurde das, was man gemeinhin als Christ bezeichnet. Ich hatte keinen Grund, in dem Augenblick zu glauben, dass ich in dem Augenblick nicht mehr Jüdin wäre, genauso wenig wie ich Anlass dazu hatte, mich nicht mehr als Amerikanerin zu betrachten. Ich verbrannte keine US-Flaggen und keine Davidsterne.

Auch jetzt, fast 16 Jahre später, ist der Wunsch, das zu kommunizieren, was ich als die Wahrheit betrachte, nicht schwächer geworden. Als ich einmal Traktate an einer belebten Straßenecke verteilte wurde ich oft mit ärgerlichen Fragen konfrontiert und mit Blicken voller Hass und Furcht zur gleichen Zeit, die von meinen eigenen Leuten kamen, dich irgendwie dachten, dass ich sowohl mich selbst als auch sie hasste. Und da kamen mir gleich wieder Geschehnisse aus meiner Kindheit in den Sinn und ich erinnerte mich an meine Unterhaltung mit Janice Cohen. Aber es erstaunte mich nicht länger, dass mich manche Leute einfach nicht verstanden. Und ich verstand, dass die Worte „Juden für Jesus“, die in breiten Buchstaben auf meinem T-Shirt prangten, in der Tat kontrovers waren.

Als ich jedem, der vorbeiging und sich für uns interessierte, die Blätter gab, die nahelegten, dass Jesus der jüdische Messias war, hielt einmal ein Paar an und stellte mir eine Frage, die nicht wirklich eine Frage war: „Und was halten eigentlich deine Eltern von all dem?“ Das war nicht wirklich eine ehrliche Frage, eher eine Anklage. Sie hatten sich die Antwort geistig bereits zurechtgelegt – dass ich meinen Eltern das Herz gebrochen hätte. Ich hoffte, dass meine Antwort bei ihnen zur Abwechslung einmal echtes Interesse weckte und entgegnete: „Eigentlich sind meine Mutter und mein Vater ziemlich stolz, mich hier zu sehen, wie ich für meinen Glauben einstehe. Sie wissen, dass das überhaupt nicht leicht ist. Wissen Sie, die sind nämlich auch Juden für Jesus.“

„Oh, alles klar, das erklärt natürlich alles,“ sagte die Frau ihrem Mann. Dann wandte sie sich wieder mir zu: „Nicht einer von euch ist wirklich jüdisch, weder du, noch deine meschuggenen Eltern. Du bist nicht jüdisch und du solltest dieses alberne T-Shirt nicht tragen, das etwas anderes behauptet. Es ist eine Schande!“

Warum ein Jude für Jesus immer gleich doppelt so jüdisch wie andere Juden sein muss, um als Jude akzeptiert zu werden.

„Außerdem,“ ergänzte ihr Mann,“ es ist Sabbat. Wenn du wirklich jüdisch bist: warum bist du nicht zu Hause und zündest die Kerzen an?“ Ich sagte ihnen ruhig, dass ich ja wohl nicht der einzige Jude hier sei, der gerade nicht zu Hause war, um die Kerzen anzuzünden. Ihr Kopf wurde so rot wie eine Tomate. Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen, nur die Frage stellen, warum ein Jude für Jesus immer gleich doppelt so jüdisch wie andere Juden sein musste, um als Jude akzeptiert zu werden.

Die Leute sagen mir, wenn ich heirate und Kinder bekomme, würden diese nicht jüdisch sein. Ich vermute mal, als meine Eltern sich dazu entschlossen, an Jesus zu glauben, wurde ihnen dasselbe erzählt. Und doch denke ich, sollte ich eines Tages Kinder haben, so würde es mich ebenso überraschen, wenn ich entdecken würde, dass sie Nichtjuden wären, wie es mich überraschen würde, Pfirsiche an einem Apfelbaum wachsen zu sehen. Denn Apfelbäume bringen Äpfel hervor und Juden andere Juden… selbst wenn diese an Jesus glauben.