Antisemitismus – Ein Interview mit Josh Turnil
Sem stammt vom hebräischen Wort für „Name“. Historisch und biblisch gesehen war das der Name von einem der drei Söhne Noahs, der die Welt rettete und durch den die Berufung fortleben sollte. Im Hebräischen hat „Schem“ noch mindestens zwei Beiklänge. Der erste ist die Identität einer Menschenseele.
Wie definieren Sie Antisemitismus?
Sem stammt vom hebräischen Wort für „Name“. Historisch und biblisch gesehen war das der Name von einem der drei Söhne Noahs, der die Welt rettete und durch den die Berufung fortleben sollte. Im Hebräischen hat „Schem“ noch mindestens zwei Beiklänge. Der erste ist die Identität einer Menschenseele. Ohne einen Namen existiert eine Person gar nicht. Wer gegen den „Namen“ ist, ist gegen das Sein. Zweitens ist „Schem“ eine der vielen Anreden, die für G-tt gebraucht werden. Wenn man gegen Den Namen (HaSchem) ist, ist man gegen Gott. Atheisten und Gläubige können sich einig sein: Antisemiten sind (zumindest sprachlich gesehen) nicht nur gegen die Juden eingestellt, sondern gegen die Menschheit. Dies gilt sowohl geistlich (man richtet sich gegen den Gott, der dieser Welt Leben schenkt) als auch soziologisch-philosophisch (man richtet sich gegen Menschenwesen). Antisemiten sind gegen das Leben und gegen das Heilmittel für eine sterbende Welt.
Wie das?
Das wirkliche Übel hinter dem Antisemitismus besteht darin, dass durch die Jahrhunderte hindurch das jüdische Volk für die Nöte der Erde verantwortlich gemacht wird – dabei ist dieses Volk in Wirklichkeit die Lösung für die Probleme der Erde. Jesus hat gesagt: „Das Heil kommt von den Juden.“ Laut der hebräischen Heiligen Schrift bestand dieses Heil im Wort Gottes, das dem jüdischen Volk anvertraut wurde, damit die Welt den Gott Israels kennen lernen kann.
Antisemitismus ist sowohl im universellsten wie auch im lokalsten Sinne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die große Tragödie besteht darin, dass Antisemiten nicht nur die Juden vernichten, entmachten und entwurzeln wollen – sondern auch sich selbst.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden häufig als besonders scheußliche Straftaten beschrieben, oft systematisch und unter Billigung und Komplizenschaft der Regierung. Antisemitismus führt Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf eine neue Ebene. Warum werden die Leute besonders wütend, wenn ein Priester Kinder missbraucht? Oder wenn ein Arzt sein Wissen bewusst zum Töten einsetzt (z.B. Dr. Mengele)? Oder wenn ein Koch die von ihm zubereiteten Speisen vergiftet? Der Grund liegt darin, dass diese Ämter lebensspendend und nicht lebensvernichtend sind. Ein Priester soll Kinder schützen und erziehen und ihnen nicht schaden oder sie zerstören. Ein Arzt soll heilen und Leben zurückgeben, nicht verletzen und Schaden verursachen. Ein Koch soll nahrhaftes Essen und nicht etwa Gift darreichen.
Nehmen wir einmal Folgendes an: Da wissen Sie von der Geburt eines Babys, das der Menschheit ein Heilmittel für AIDS bringen wird. Daraufhin beschließen Sie, dieses Kind umzubringen. Sind Sie dann nur des Mordes schuldig? Oder wiegt Ihre Schuld noch viel schwerer? Sie hätten ein Kind getötet, das Millionen Menschen Erleichterung gebracht hätte. Nehmen wir weiterhin an, Sie wären selber AIDS-infiziert. Mit dem Mord an diesem Baby hätten Sie sich selbst umgebracht. Das ist Antisemitismus: Man trachtet nach der Ausrottung eben des Volkes, das der Welt Heil bringen sollte.
Ein altes jüdisches Sprichwort besagt: „Wenn Gott auf Erden lebte, würden die Menschen ihm die Fenster einschlagen.“ Diese sprichwörtlichen Fenster sind das jüdische Volk.
Können wir die Menschen gegen Antisemitismus erziehen?
An manchen Orten in der Welt leben gar keine Juden, an anderen leben viele Juden. Und trotzdem existiert Antisemitismus überall. Er scheint völlig grundlos und ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen, kulturellen oder intellektuellen Kontext aufzutreten. Trotz Bildungsprogrammen, wissenschaftlichen Studien und aller Holocaust-Aufklärung erhebt der Antisemitismus auch weiterhin sein hässliches Haupt.
Warum?
Ein Mann sagt zu seinem Freund: „Alle Probleme der Welt sind die Schuld der Juden und der Radfahrer.“ Der Freund fragt: „Warum die Schuld der Radfahrer?“ Antwort: „Warum die Schuld der Juden?“
In Studien zum Antisemitismus steht die „Warum“-Frage meist im Schatten des historischen Kontexts oder der beteiligten gesellschaftlichen Faktoren antisemitischer Geschichts-Epochen und -ereignisse. Als Ergebnis davon geht die „Warum“-Frage nicht nur unter; manchmal geraten Denker in gefährliche Nähe der Kausalität – d.h. sie deuten an, unser jüdisches Volk habe sich die Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben.
Ich möchte meine These deutlicher ausdrücken: Antisemitismus stammt von bösen geistlichen Mächten. Diese Mächte stehen höher als Kultur, Religion und Rasse. Antisemitismus ist die Auffassung, die Juden seien viel eher der Grund für alle Übel der Welt als die Quelle ihrer Rettung.
Wie fängt Antisemitismus an?
Ich würde sagen, er beginnt in der von vielen Mächten stimulierten Gedankenwelt – und an erster Stelle stehen geistliche Mächte. Ich möchte eine allgemeinere Frage beantworten: Wo beginnt Vorurteil? Es ist ein gedankliches Bild des andern, das nur die persönlichen Eindrücke berücksichtigt, ohne diese jedoch auf Kenntnis des anderen zu gründen. Die Juden sind komisch, geizig, großzügig, weise, gerissen oder religiös – dies alles sind Bilder, die von gesellschaftlichen Karikaturen herrühren und daher von Vorurteilen geprägt sind. Ob die Vorstellung nun gut oder schlecht ist, sie bleibt trotzdem eine rassische Karikatur.
Die Frage müsste daher wohl eher lauten: Wer ist nicht des Antisemitismus schuldig? Jeder hat irgendwann einmal antisemitische Gefühle. Ganz, wie jeder irgendwann einmal Krebszellen entwickelt: Manchmal bleiben sie unter Kontrolle, aber in anderen Fällen wachsen sie und werden bösartig. Genauso kann jeder einzelne Mensch antisemitisch eingestellt sein.
Können wir von einer anderen Art von Antisemitismus sprechen, die zu amüsanten Stereotypen neigt? Sind alle Juden komisch, gesetzt, kultiviert, reich, zielorientiert und intelligent? Schon oft bin ich Menschen begegnet, die eine sehr hohe Meinung (oder sogar romantische Vorstellungen) von Juden haben – ohne aber überhaupt jüdische Menschen zu kennen. Wenn sie mit der Realität in Kontakt kommen, erleben sie Enttäuschung, Bitterkeit und manchmal sogar Vorurteile. Laut der Bibel sind wir im Ebenbild Gottes erschaffen. Vorurteil schafft ein Bild und zwingt es dem anderen auf: Man erwartet, dass der andere zur eigenen Befriedigung diese Karikatur erfüllt.
Was ist das Heilmittel gegen Antisemitismus?
Die Bibel lehrt, dass wir den Herrn mit unserem ganzen Sein lieben sollen; als Ergebnis davon sollten wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Darin versagen wir alle. Darin sind wir alle Sünder: ein biblischer Begriff, der nicht mehr besonders beliebt ist, weil er unsere Empfindlichkeiten verletzt. Aber im geringeren oder größeren Ausmaß sind wir alle von dem Vorurteil und der Karikatur beeinflusst, die wir innerlich mit uns herumtragen. Der Gott Israels hat durch das Volk Israel sein Wort in die Welt gesandt – und dieses Wort wurde Mensch im Leben und Dienst Jesu. Er wurde getötet – nicht durch ein sinnloses antisemitisches Pogrom, sondern als Bezahlung für unsere Sünden des Antisemitismus, des Rassismus und dessen, dass wir Gott nicht mit unserem ganzen Sein lieben. Gott hat Jesu Opfer zu unseren Gunsten angenommen, um uns von dem spaltenden Hass zu befreien, damit wir ihn wahrhaft sehen und sei Heil erkennen können. Obwohl Jesus getötet wurde, wurde er nicht vernichtet. Das Neue Testament verzeichnet, dass er von den Toten auferstanden ist. So können alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzen, ebenfalls ewiges Leben haben.
Aus dem Englischen übersetzt von Lars Kilian